Mobilität

Mobilität ist ein Grundrecht! Und dennoch haben Menschen – in Deutschland und weltweit – nur ungerecht verteilten Zugang dazu. Wie kann es sein, dass die Automobillobby ihre Interessen gegen Mensch und Natur durchsetzen kann? Und wie sähe eine Bahn aus, die tatsächlich bedürfnis- statt renditeorientiert arbeitet? In den Workshop-Phasen setzen wir uns im Themenstrang Mobilität zunächst mit aktuellen Ansätzen für eine Vergesellschaftung der Bahn, der Autoindustrie und von Mobilitätsplattformen auseinander. Wir werfen einen Blick auf Nord-Süd-Auswirkungen deutscher Mobilitätskonzerne und lernen von erfolgreichen Kampagnen. In der Strategiephase beratschlagen wir gemeinsam, wo die Musik spielt: welche Hebel wir in Bewegung setzen und welche Strategien wir in Hinblick auf welche Branche anvisieren wollen. Für eine klimagerechte, vergesellschaftete Mobilität wird dabei die zentrale Herausforderung sein, unterschiedliche Bedürfnisse von Nutzer:innen und Mitarbeitenden in Europa und weltweit mitzudenken.

Die Workshopphase – Eine Annäherung ans Thema

In der ersten Workshopphase wurde am Beispiel der Automobilindustrie und der Digitalkonzerne entlang der Leitfrage diskutiert: Was bedeutet Vergesellschaftung in diesem Sektor, welche Vergesellschaftungsperspektiven bietet er?

Beim Workshop zur Automobilindustrie: VW vergesellschaften! Aber was fangen wir mit einem Autokonzern an, der uns gehört? gab es zunächst einen Input zu den politökonomischen Rahmenbedingungen für eine Konversion der Autoindustrie. Dabei wurde deutlich, dass die Diskussion an Debatten aus den 1970er Jahren anknüpfen kann. Eine Konversion wird nur erfolgreich sein, wenn es sowohl Druck aus den Betrieben und der Zivilgesellschaft als auch den Willen im politischen Raum gibt, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen. Im zweiten Input wurde aufgezeigt, dass es möglich ist, die Kapazitäten in der Automobilindustrie zu nutzen, um statt Autos Busse und Bahnen für den öffentlichen Verkehr zu bauen, wenn die finanziellen Mittel dafür bereitgestellt werden. In der anschließenden Diskussion bestand weitgehendes Einvernehmen, dass die Vergesellschaftung der Automobilkonzerne und der Zulieferbetriebe ein wichtiger Hebel für die Konversion der klimaschädlichen Autoproduktion hin zum Bau von Fahrzeugen (z.B. Straßenbahnen und Busse) für eine soziale und klimagerechte Mobilitätswende ist. [Referent:innen: Anna Katharina Keil und Klaus Meier]

Der Workshop Mobilitätsplattformen, ein Hebel zur Vergesellschaftung? startete mit einem allgemeinen Input zu Mobilitätsplattformen (bspw. Google Maps oder Apps von Verkehrsverbünden). Welche Rolle spielen sie heute und wie könnten sie der Macht von Privatkonzernen entzogen werden? Sie könnten beispielsweise einen wesentlichen Beitrag zu Reduzierung von CO2-Emmissionen im Verkehr leisten, indem sie intermodale Routenvorschläge mit ÖPNV und Fahrrad priorisieren sowie Daten zur ÖPNV-Fahrradmitnahme, Bike’n’Ride-Parkplätzen oder Fahrradwerkstätten in die Information einbinden. Es folgte ein Input zu Mobilitätsdaten. Diese werden heute vor allem von privaten Konzernen erhoben und verwertet, ohne dass es eine gesellschaftliche Kontrolle darüber gibt. Hier fehlt es vor allem an einer gesellschaftlichen Regulierung der Datengewinnung und -verarbeitung. In der Diskussion wurde deutlich, dass Mobilitätsplattformen als kritische Infrastruktur einzuordnen sind und schon deshalb nicht in privater Hand sein dürfen, sondern vergesellschaftet gehören.
 [Referent:innen: Dominic Piétron und Aline Blankertz]

In der zweiten Workshopphase spielte der Themenkomplex Öffentlicher Nah- und Fernverkehr eine wesentliche Rolle sowie die globalen Zusammenhänge im Mobilitätssektor. Die Diskussion orientierte sich an der Leitfrage: Wer sind in diesem Sektor die relevanten Akteure und welche Eigentumsverhältnisse sind da vorhanden?

Im Workshop Bahn für alle – demokratisch organisiert?! gab es zunächst einen Input zur Entwicklung der Eigentumsverhältnisse der Deutschen Bahn. Sie wurde 1994 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und sollte an die Börse gebracht werden. Zwar wurde der Börsengang gestoppt, allerdings wurde die Bahn auf Wirtschaftlichkeit getrimmt: Personal wurde abgebaut, Strecken stillgelegt und Leistungen reduziert. Daran folgte ein Input, was aus den Erfahrungen der Kampagne Wir fahren zusammen für eine Kampagne zur Demokratisierung der Bahn und der Nahverkehrsunternehmen gelernt werden kann. Es wurde der Vorschlag gemacht, die Forderung nach einem kosten- und ticketlosenr ÖPNV als mögliches Vergesellschaftungsprojekt im Nahverkehr zu denken. Dies könnte ein attraktives Ziel sein, für das es sich als Nutzer:in, als Beschäftigte:r und als Klimaaktivist:in lohnen würde, zu kämpfen. In der anschließenden Diskussion wurde dafür plädiert, die Bahn in ein gemeinnütziges Unternehmen mit demokratischer Beteiligung der Beschäftigten und der Nutzer:innen umzuwandeln.
 [Referent: Carl Wassmuth]

Beim Workshop Tren Maya – Vergesellschaftung global und solidarisch! wurde eine der Auslandsinvestitionen der Deutschen Bahn und damit die globalen Auswirkungen deutscher Konzerne in den Blick genommen. Der Workshop startete mit einer Murmelrunde zur Frage, welche Perspektive Vergesellschaftung in Deutschland für globale Klimagerechtigkeit bietet. Danach gab es einen Input zu den problematischen Folgen von großen Infrastrukturpojekten für die Natur und die Menschen vor Ort – unter andere beim geplanten Bau des Tren Maya in Mexiko. Im einem weiteren Input wurde die Rolle der Deutschen Bahn als internationaler Konzern beim Projekt Tren Maya kritisch beleuchtet. Den Inputs folgte eine Diskussion in Kleingruppen: Welche konkreten vergesellschaftenden Schritte können eine Antwort auf die geschilderten Probleme geben und bspw. das Verhalten bzw. den Einfluss der DB AG verändern? Hier wurde wie im Workshop zur Deutschen Bahn die Umwandlung der DB AG in eine gemeinnützige Organisation diskutiert, ebenso eine Informationskampagne zum Projekt Tren Maya.

In der dritten Workshopphase ging es um den Austausch über praktische Erfahrungen, Skillsharing, Kampagnenaufbau und Organizing. Die Leitfrage für die Workshops lautete: Wie können in diesem Sektor konkret Vergesellschaftungskämpfe vorangetrieben werden?

Im Workshop Wir fahren zusammen teilten Menschen aus der Kampagne ihre Erfahrungen zum Kampagnenaufbau, zur Ansprache von Beschäftigten und zur Zusammenarbeit mit Verdi. Dazu stellten sie zunächst ihre Strategie vor, Klimabewegung und Arbeitskämpfe zu verbinden. Wichtig war dabei der Vertrauensaufbau mit und der Zugang zu betrieblichen Strukturen. Dafür wurden 1-zu-1-Gespräche mit Beschäftigten in den Verkehrsbetrieben und Fahrgästen im ÖPNV geführt und Petitionen als Mittel zur Ansprache genutzt. Im Anschluss an den Input wurde in Kleingruppen diskutiert, wie soziale Bewegungen zur gewerkschaftlichen Erneuerung beitragen können, welche Perspektiven die Auseinandersetzung für einen demokratischen ÖPNV bieten könnte und was aus der Kampagne Wir fahren zusammen gelernt und worauf aufgebaut werden kann.
 [Referent:innen: Aktivisti von Wir fahren zusammen]

Im Workshop „How to occupy your factory – von der Besetzung der GKN-Fabrik in Florenz lernen“ ging es um die Erfahrungen mit der seit 2021 von den Beschäftigten besetzten Fabrik des multinationale Autozulieferer GKN in Campi Bisenzio bei Florenz. Das Fabrikkollektiv Collettivo di fabbrica aus Mitarbeiter:innen, ihren Familien und Unterstützer:innen arbeitet an einer Konversion des Betriebs. Sie wollen das Gelände übernehmen und für eine neue, klimagerechte Produktion „reindustrialisieren“. Im Workshop teilten Aktivist:innen, die das Collettivo di fabbrica unterstützen, ihre Erfahrungen. In der Diskussion wurden anstehende Entlassungen und Fabrikschließungen als Hebel für Vergesellschaftung gesehen. Hier sei es wichtig, auf Krisen vorbereitet zu sein und frühzeitig von Entlassungen, Schließungen und den Strukturen vor Ort zu wissen, um Widerstandsstrukturen und Netzwerke aufzubauen. Unbeantwortet blieb die Frage, wie mit Sektoren umgegangen werden soll, die keine Zukunft haben.
 [Referent:innen: Aktivisti aus der deutschen und der italienischen Solistruktur]

Der Workshop Haltet den Dieb! VW vergesellschaften startete mit einem Input zu der Kampagne Haltet den Dieb!, mit der Wolfgang Porsche, Haupteigentümer von VW adressiert wurde. Die Grundlage für sein Vermögen wurde in der Nazizeit gelegt und er profitiert wesentlich von den VW-Gewinnen. Beim Input wurden folgende Thesen vorgestellt und begründet: Das E-Auto ist eine Scheinlösung für die Mobilitätswende, die Autokonzerne sind in der Krise und eine Konversion der Autoproduktion ist ohne eine Vergesellschaftung der Konzerne nicht möglich. Die Satzung der IG Metall, die Vergesellschaftung ausdrücklich vorsieht sowie das VW-Gesetz, das Beschäftigtenvertreter:innen, der IG Metall und dem Land Niedersachsen zusammen eine Mehrheit im Aufsichtsrat von VW sichert, werden als Hebel für eine Vergesellschaftung des Konzerns gesehen. Zudem übt der laufende Stellenabbau bei VW enormen Druck auf Beschäftigte aus und führt zu ihrer Entfremdung vom Konzern und macht sie für eine Vergesellschaftungsforderung ansprechbar. Deshalb wollen die Akteur:innen in Wolfsburg weiter am Projekt VW vergesellschaften arbeiten.
 [Referent:innen: Eva & Tobi von der Amsel44]

Die Praxisphase: Von der Idee zum Handeln

In der Praxisphase wurden die in den Workshops diskutierten Vorschläge zusammengetragen, geteilt und in Gruppen erste Ideen zu Vergesellschaftungskampagnen dazu entwickelt. Diese wurden dann im Plenum vorgestellt. Nach einer Feedbackrunde wurden zu folgenden Ideen in Kleingruppen weitergearbeitet: Die Bahn gemeinnützig machen, Wasserverband und Fabrikgelände von Tesla in Grünheide vergesellschaften, Autokonzerne und Zulieferbetriebe vergesellschaften und Machtaufbau, Verknüpfung von Arbeitskämpfen und Vergesellschaftung im öffentlichen Nahverkehr.
Diese Projekte wurden auch am Sonntagmorgen dem Konferenzplenum vorgestellt.

Das Projekt Die Deutsche Bahn gemeinnützig machen will den Unmut bei den Bahn-Beschäftigten und den Bahn-Kund:innen über den Zustand der Bahn für eine Mobilisierung für eine gemeinnützige Bahn nutzen. Mit Informationskampagnen, Organisierung und Petitionen soll für eine andere Rechtsform statt der heutigen privatrechtlichen AG geworben werden. Ziel ist eine bedürfnisorientierte, zuverlässige und nachhaltige Bahn. Als mögliche Bündnispartner:innen sieht die Projektgruppe Gewerkschaften, das Bündnis „Bahn für alle“ sowie Fahrgast- und Sozialverbände.

Das Projekt Wasserverband und Fabrikgelände von Tesla in Grünheide vergesellschaften will als Mittel der Vergesellschaftung einen demokratischen Wasserrat schaffen, der die Bewirtschaftung des Grundwassers in der Region verwaltet. Dazu soll die Wassernutzung von Tesla skandalisiert werden, um die von der Wasserversorgung aus der Region abhängigen Bürger:innen für das Projekt zu gewinnen. Langfristig ist es Ziel des Projektes, das jetzt Tesla gehörende Gelände umzunutzen und unter gesellschaftlich Verwaltung zu stellen.

Das Projekt Autokonzerne und Zulieferbetriebe vergesellschaften will zu erwartende Entlassungen und Werksschließungen in der Autobranche als Hebel für die Vergesellschaftung von betroffenen Fabriken nutzen. Wobei sowohl die dort Beschäftigten als auch zivilgesellschaftliche Akteure für die Mobilisierung in den Blick genommen werden. In einem ersten Schritt soll analysiert werden, welche Fabriken potenziell betroffen sein könnten und wie die Kräfteverhältnisse dort sind, beispielsweise die gewerkschaftliche Organisierung. Dem Umbau des Automobilsektor wird eine hohe klimapolitische Bedeutung beigemessen, da er für einen erheblichen Anteil der CO2-Emmissionen verantwortlich ist.

Das Projekt Machtaufbau, Verknüpfung von Arbeitskämpfen und Vergesellschaftung im öffentlichen Nahverkehr will sich um die Organisierung von Beschäftigten und Klimaaktivist:innen für einen bedürfnisorientierten Öffentlichen Nahverkehr kümmern. Dazu sollen konkrete Arbeitskämpfe, aber auch die Auseinandersetzungen um die Ausschreibung von regionalen Linienverkehren für die Organisierung genutzt werden. Als mögliche Akteure werden die Beschäftigte in den Verkehrsunternehmen, Verdi, von Entlassung bedrohte Beschäftigte in der Autoindustrie, Klimaaktivist:innen sowie Fahrgäste gesehen.

Zum Weiterdenken

Beitrag von Eva Brunnemann auf dem Verkehrswendestadt Blog: „Collettivo di Fabbrica ex-GKN, Florenz – was hat das mit uns zu tun?“: https://blog.verkehrswendestadt.de/collettivo-di-fabbrica-ex-gkn-florenz-was-hat-das-mit-uns-zu-tun/

 

Publikation von Dominik Piétron, Anouk Ruhaak und Valentin Niebler zu öffentlichen Mobilitätsplattformen und digitalpolitische Strategien für eine sozial-ökologische Mobilitätswende:  https://www.rosalux.de/publikation/id/44480/oeffentliche-mobilitaetsplattformen

Eine Konferenz von Ehrenamtlichen und

Gefördert von

Supported in part by a grant from the Foundation Open Society Institute in cooperation with the Europe and Eurasia Program of the Open Society Foundations

Medienpartnerschaften