Energie

Die Vergesellschaftung des Energiesektors ist für einen klimagerechten Umbau so zentral und dringlich wie auch umstritten und komplex. Kaum ein anderer Sektor beruht so stark auf einer Weiterführung fossiler Zerstörung, ist in der Zusammensetzung verschiedener Bereiche und Akteure so undurchsichtig und verfügt über einen derart hohen Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Über drei Workshop-Phasen wollen wir uns mit grundlegenden Fragen in diesem Zusammenhang auseinandersetzen: In welchen Teilbereichen kann die Vergesellschaftung sinnvoll ansetzten – von den großen Strom- und Gasversorgern, zu den Stromnetzen und dem Aufschwung erneuerbarer Energien in ihren Vielfältigen Eigentumsformen bis hin zu der Braunkohle und der damit verbundenen Altlastenfrage? Welche Akteure müssen dafür in den Blick genommen werden? Wie kann eine Demokratisierung der Energieproduktion und Verteilung in einer globalen Perspektive verhandelt werden? Über die mögliche Konsensfindung zu diesen Fragen innerhalb der Klimabewegung wollen wir in zwei Praxisphasen anhand von bestehenden Kampagnen, aktivistischen Kämpfen und alternativen Ansätzen gemeinsam den Blick nach vorne wagen, um strategische Zielsetzungen für die Vergesellschaftung unserer Energie zu formulieren.

Bericht

Die Vergesellschaftungskonferenz liegt hinter uns und wir wollen rekapitulieren, was im Energiestrang gelaufen ist. Unser Ziel war hoch gesetzt: Wir wollten diskutieren, wie wir den Energiesektor in gemeinschaftliches Eigentum überführen und unter demokratische Kontrolle bringen können. Denn wir glauben, dass wir so unsere Ausgangsbedingungen für zukünftige Kämpfe verbessern können, um sozialen Energiepreisen, einer Verantwortungsübernahme für globale Klimaungerechtigkeit sowie einer Dekarbonisierung des Energiesektors näher zu kommen. Mit den Inputs innerhalb der Workshops und den Diskussionen während der Praxisphase haben wir versucht auszuloten, wie wir dieses Ziel konkretisieren und wie Zwischenschritte in Richtung Vergesellschaftung aussehen könnten. Innerhalb des Strangs haben wir dafür ein Doppelziel ausgemacht: Auf der einen Seite ist es notwendig, die Macht der großen Energiekonzerne wie RWE, Vattenfall und Co. zu brechen und ihre Produktionsmittel in öffentliches Eigentum zu überführen. Dafür ist uns die Kampagne RWE und Co. Enteignen! ein Vorbild, die für 2029 einen NRW-weiten Volksentscheid zur Vergesellschaftung der Energieriesen vorbereiten. Auf der anderen Seite erscheint es uns angemessen, bereits heute demokratisch kontrollierte Strukturen zu erkämpfen, die unsere Energieversorgung von morgen ausgehend von den Bedürfnissen der Bevölkerung und den Grenzen des Planeten bereitstellen kann.

Wir wissen, dass die nächsten Jahre für die Entwicklung des Energiesektors in Deutschland wegweisend sind. Durch die Energiewende ist innerhalb des Energiesektors viel in Bewegung, doch es wird von den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen abhängen, wie diese Umstrukturierung aussehen wird: Werden wir einen Lock-In fossiler Infrastruktur und die Weiterführung kapitalistischer Prinzipien in einem scheinbar grünen Energiesektor erleben, der auf der neokoloniale Ausbeutung des globalen Südens beruht? Oder gelingt es uns, Energieproduktion, -verteilung und -vertrieb anzueignen und die Ausgestaltung der Transformation gemeinsam mit den Arbeiter*innen, Energiekund*innen sowie den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Gruppen auszuhandeln? Auf der Konferenz haben wir die Kraft und Begeisterung gespürt, mit der wir uns diesen Herausforderungen stellen können.

 

 

 Doch welche Kriterien legen wir unseren Kämpfen um Vergesellschaftung zugrunde? Eine Aktivistin von ausgeco2hlt hat uns im Auftaktpanel mit einer Videobotschaft der Mujeras Guerreras de la Sierra daran erinnert, dass der Anspruch auf globale Gerechtigkeit im Kontext der Klimakrise Ausgangspunkt für unsere Vergesellschaftungskämpfe in Deutschland sein muss. Im vergesellschafteten Energiesektor sollten vom Klimawandel besonders betroffene Gruppen Mitbestimmungsrechte haben z.B. durch feste Plätze im Aufsichtsrat. Wie wir diese transnationale Perspektive in unsere politische Praxis konkret einbinden können, blieb jedoch innerhalb unserer Strategiediskussion leider zu oft undeutlich. Dagegen ist klar für uns, dass ein Angriff auf die Besitzverhältnisse nur gemeinsam mit den Beschäftigten des Energiesektors gelingen kann. Für die Transformation des Energiesektors brauchen wir die Erfahrung der Arbeiter*innen und müssen eine Perspektive auf bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne sowie mehr Mitbestimmung im Betrieb bieten. Dabei gilt es, Vertrauen zwischen Klimagerechtigkeitsbewegung und Arbeiter*innen aufzubauen und gemeinsam das Spannungsverhältnis zwischen fossil verankerten Arbeitsplätzen und dem Interesse an einer intakten Umwelt anhand der Eigentumsfrage auszudiskutieren. Gleichzeitig müssen wir es schaffen, an die materiellen Bedürfnisse der Energiekund*innen anzuknüpfen und über starke Mitbestimmungsrechte sowie sozial gerechte Energiepreise Mehrheiten in der Bevölkerung zu organisieren.

Innerhalb des Strangs haben sich in der Praxisphase drei Projekte herauskristallisiert, die sich anhand des oben formulierten Doppelziels einordnen lassen. Auf der Seite „Energiekonzerne vergesellschaften“ hat RWE und Co. Enteignen! einen detaillierten Kampagnenplan für die nächsten 5 Jahre vorgelegt, der uns alle sehr beeindruckt hat. Jetzt wollen wir die Genoss*innen in NRW bei dem Aufbau einer breiten Bewegung und zur rechten Zeit beim Sammeln von 1 Mio. Unterschriften für ein erfolgreiches Volksbegehren unterstützen. In der Zwischenzeit wird in Zusammenarbeit mit communia ein konkreter Gesetzestext zur Enteignung von RWE und Co. erarbeitet über den die Bürger*innen NRWs 2029 abstimmen sollen. Auch dann wollen wir als Klimagerechtigkeits- bzw. Vergesellschaftungsbewegung am Start sein, um den Volksentscheid zum Erfolg zu machen.

Außerdem haben wir die neue Kampagnengruppe MIBRAG vergesellschaften, EPH zerschlagen gebildet. Unter diesem Titel wollen wir neben der Energieinfrastruktur in Ostdeutschland auch die Grundstücke in Pödelwitz sowie den Renaturierungsprozess der Kohletagebaue vergesellschaften. Als nächsten Schritt nehmen wir an einem transnationales Vernetzungstreffen mit Aktivist*innen aus anderen Ländern teil, die sich auch gegen EPH (den Mutterkonzern von MIBRAG) organisieren. Mittelfristig wollen wir uns mit den Arbeiter*innen der MIBRAG und den Energiekonsument*innen organisieren, um eine Gegenmacht gegenüber dem Energieriesen aufzubauen und dessen Vergesellschaftung vorzubereiten. Die Kampagne kann an eine lange Widerstandsgeschichte anknüpfen und hat aufgrund der lokalen Verankerung in Initiativen wie der Grünen Liga oder Pödelwitz hat Zukunft das Potential, ein Modellprojekt für Vergesellschaftungsprozesse in Ostdeutschland zu werden. Wir wollen den Strukturwandel der Region und die Renaturierung nicht dem Markt überlassen, sondern konkret mittels einer Braunkohlefolgestiftung und Stadtbodenstiftung demokratisch ausgestalten.

 

 

 

Auf der Seite „demokratische Energieversorgung aufbauen“ ist die Idee für eine lokal verankerte aber überregional koordinierte Stadtwerke-Kampagne entstanden. Wir möchten an die Rekommunalisierungswelle in der letzten Dekade anknüpfen, die dadurch entstandenen Stadtwerke radikal demokratisieren und zu einem Treiber der Energiewende machen. Durch Streik-Bündnisse von Arbeiter*innen und Klimagerechtigkeitsbewegung sowie lokalen Volksabstimmungen wollen wir Aufsichtsräte erkämpfen, die aus Vertreter*innen von Energiekonsument*innen, stark durch den Klimawandel betroffenen Gruppen und Beschäftigten der Stadtwerke zusammengesetzt sind. Auf dem Weg dahin gilt es, langfristige Zusammenarbeit in der Bevölkerung über die Themen soziale Energiepreise, Dekarbonisierung und bessere Arbeitsbedingungen in den Stadtwerken zu organisieren. Dabei können wir auf bestehende Initiativen wie den Hamburger Energietisch oder Kampagnen wie raus aus Zukunft Gas aufbauen und das Thema auf die Forderung Stadtwerke vergesellschaften! zuspitzen. Als nächste Schritte wollen wir bestehendes Wissen zusammentragen, um zu identifizieren in welchen Städten eine Kampagne besonderes erfolgsversprechend sein könnte (z.B. Beziehungen von FFF und ver.di durch #WirFahrenZusammen in Stadtwerken, die auch den lokalen Nahverkehr organisieren). Um weiter an der Kampagnenidee zu arbeiten haben wir bereits einen Mailverteiler erstellt und ein Folgetreffen angesetzt.

Wer den Kampf um die Eigentumsverhältnisse und die Demokratisierung des Energiesektors gemeinsam mit uns führen möchte, kann gerne Kontakt zu uns oder bestehenden Gruppen aufnehmen, die rund um das Thema arbeiten, oder uns bei zukünftigen Veranstaltungen persönlich treffen. Neben der neu anlaufenden Mailingliste für die gesamte Vergesellschaftungsbewegung, möchten wir euch folgende Gruppen und Veranstaltungen besonders ans Herz legen:

 

Berliner Energietisch https://berliner-energietisch.net/

Grüne Liga https://grueneliga.de/index.php/de/

Hamburger Energietisch https://www.hamburger-energietisch.de/

Pödelwitz hat Zukunft! https://www.poedelwitz.de/de/

RWE und Co. Enteignen! https://rwe-enteignen.de/

Soziale Wärmwende Berlin

United for Future Camp Baden-Württemberg https://bezirksklimakonferenz.de/dgb-bw/

 

Nun blicken wir auf ein tolles Wochenende am Werbellinsee zurück: Wir haben intensiv diskutiert, politische und freundschaftliche Beziehungen aufgebaut, unsere Ausgangsbedingungen analysiert und gemeinsam nach vorne geschaut. Wir haben in hitzigen Diskussionen die Luft angehalten, gemeinsam gelacht, die Hoffnung verloren und wiedergefunden. Wir haben um strategische Fragen gerungen und doch ist Vieles undiskutiert geblieben. Doch wir sind im Vergleich zur ersten Konferenz mit dem Diskurs um Vergesellschaftung viel weitergekommen. Jetzt gilt es einen langen Atem zu bewahren und materielle Veränderungen zu erkämpfen.

 

Raus aus der Defensive – Let‘s Socialize für Klimagerechtigkeit!

Zum Weiterdenken

Eine Broschüre zur Vergesellschaftungskonferenz 2022: Neue Energie für Vergesellschaftung für Neue Energie – Vergesellschaftungsperspektven im Energiesektor https://vergesellschaftungskonferenz.de/broschuere/

 

Ein Artikel von Maximilian Becker im freitag „Energie: Die Netze denen, die sie nutzen!“: https://www.freitag.de/autoren/maximilian-becker/energie-die-netze-denen-die-sie-nutzen

 

Broschüre über die Vergesellschaftung der Energieproduktion von RWE & Co. Enteignen „Nehmen, was uns Zusteht“: https://rwe-enteignen.de/nehmen-was-uns-zusteht/

 

Der Podcast Transit Talk mit der Initiative RWE & Co. enteignen und Uwe Witt: https://open.spotify.com/episode/4VO4bC6Q6XrJKe5OHNQgWF?si=1423e7e938ca466f